Maurice Schuhmann
 

Nicolas Walter: Betrifft: Anarchismus // Jochen Schmück: Leitfaden in die Herrschaftslosigkeit

 

Knapp 50 Jahre nach der erstmaligen Publikation von Nicolas Walters „Betrifft: Anarchismus“, „seinem Herzensprojekt“, in der britischen Zeitschrift Freedom erscheint nun eine Neuübersetzung jenes Klassikers, der bereits 1979 erstmalig auf Deutsch erschien – schon damals vom heutigen Verleger publiziert – und mittlerweile in etliche Sprachen übersetzt wurde. Die vorliegende Ausgabe wurde 2002 mit einem Nachwort seiner Tochter Natasha Walter, einer feministischen Journalistin, herausgegeben und hier zum ersten Mal in deutscher Sprache publiziert.

 

 

Der studierte Historiker Nicolas Walters (1934-2000), der u.a. Gründungsmitglied der antimilitaristischen Gruppe Spies for Peace in Großbritannien war, schrieb die erste Fassung des vorliegenden Beitrages im Jahr 1969 für die 100. Ausgabe von Freedom. Zeitlich bedingt ist der Text noch von der Stimmung jener Epoche geprägt. Im Originalvorwort gab er 1969 auch als Ziel an, „eine frische Darstellung des Anarchismus“ (15) zur Vielzahl der Veröffentlichungen hinzuzufügen. So definierte er den Anarchismus kurzerhand wie folgt: „Anarchismus ist die politische Verarbeitung der psychischen Reaktion auf die Autoritäten, die in allen menschlichen Gruppen auftritt.“ (17) Auch die Positionen zur freien Liebe, die er im Abschnitt „Individuum und Gesellschaft“ präsentiert, lassen sich zeitgeschichtlich verorten.

 

Jochen Schmück begründet die Herausgabe jenes Essays im Vorwort mit den Worten: „Es ist dieser alltägliche pragmatisch ausgerichtete Anarchismus, der das soziale und kulturelle Ambiente schafft, in dem sich die Idee der Anarchie praktisch entfalten kann und wir Fortschritte auf unserem Weg in die herrschaftsfreie und solidarische Gesellschaft erzielen. Dazu will dieses Buch beitragen.“ (14)

 

Die Darstellung des Anarchismus erfolgt in mehreren, thematisch-orientierten Unterkapiteln (z.B. „Demokratie und Vertretungswesen“, „Staat und Klasse“, „Notwendige Dinge und Luxus“), die klar verständlich und fokussiert sind. Er versucht, den unterschiedlichen Strömungen des Anarchismus dabei gerecht zu werden. Der Anarchosyndikalismus wird – trotz eines eigenen Kapitels – allerdings in Bezug auf die einzelnen Aspekte wie die Klassenfrage etwas stiefmütterlich behandelt.

 

Daneben beschäftigte sich Walter in anderen Schriften auch intensiv mit den Themen Atheismus und Humanismus. Einzelne Texte von ihm finden sich im Internet in englischer Sprache freizugänglich. Der Nachlass selber lagert im IISG in Amsterdam.

 

Die Aktualität der vorliegenden Schrift wird von Natasha Walter im Nachwort noch einmal unterstrichen. „Er betrachtete den Anarchismus als einen realistischen Weg, um das Leben der Menschen zu verändern, und mit seiner Betonung der pragmatischen Elemente des anarchistischen Denkens hat seine Schrift ‚Betrifft: Anarchismus‘ vieles von dem vorweggenommen, was für die heutige Bewegung gegen den globalen Kapitalismus typisch ist.“ (73)

 

Ergänzt wird der Beitrag Walters von einer fundierten kommentierten Bibliographie zum Thema Anarchismus mit ca. 250 Titeln, die Jochen Schmück von der Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus erstellt hat. Es ist eine thematisch unterteilte Bibliographie, die neben Klassikern der unterschiedlichen Strömungen des Anarchismus (Individual-, Kollektiv- und kommunistischer Anarchismus, Anarchafeminismus) u.a. auch länder- und regionsspezfische Kapitel (Schweiz, Deutschland, Lateinamerika) historische (Spanischer Bürgerkrieg) und Sachthemen (Verhältnis zu Religion, Pädagogik, Marxismus) aufführt, die selbst für einen alten Hasen wie mich noch den einen oder anderen Literaturtipp beinhaltet. Sie eignet sich sehr gut für eine erste Recherche sowohl für „Neulinge“ als auch für langjährige Aktivistinnen.

 

Nicolas Walter: Betrifft: Anarchismus / Jochen Schmück: Leitfaden in die Herrschaftslosigkeit, Libertad Verlag Potsdam 2018, 200 S., Preis: 12,80€, ISBN: 978-3-922226-28-4.

 

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